Erfolg: Regierung unterstützt Reduktion von Tierversuchen mit 1 Million Euro

Update vom 02. Februar 2024

Bundesregierung stellt erstmalig Budget für die Entwicklung einer Reduktionsstrategie bereit

Nach zwei Jahren Amtszeit hat die Ampel-Regierung sich der Entwicklung der Reduktionsstrategie erstmalig öffentlich gewidmet. Im Haushaltsbudget für 2024 sind im Einzelplan des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), [14] welches mit dem Referat „Tierschutz“ für Tierversuche zuständig ist, eine Million Euro unter dem Titel „Maßnahmen zur Reduktion von Tierversuchen“ vermerkt. Insgesamt ist eine weitere Million Euro für die Folgejahre bis 2027 vorgemerkt.

In diesem Zusammenhang übergaben wir von PETA Deutschland bereits Ende letzten Jahres, am 28. November, eine Petition zur Entwicklung eines Ausstiegsplans mit mehr als 200.000 Unterschriften an einen Vertreter des BMEL.

Uebergabe eines Schildes in Form einer Ratte mit dem Titel 200000 Unterschriften fuer Ausstieg aus Tierversuchen.
Mit der Petition fordern wir und unsere Unterstützenden eine Modernisierung der Wissenschaft.

Die Bundestagsabgeordnete Zoe Mayer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sprach in einer Pressemitteilung Ende September 2023 davon, dass mit dieser Erstfinanzierung die Reduktionsstrategie erarbeitet und mit deren Umsetzung begonnen werden kann. Zu den weiteren Punkten im Koalitionsvertrag, wie der verstärkten Forschung zu Alternativen und der Etablierung des ressortübergreifenden Kompetenznetzwerks, wurde noch nichts bekannt.

Originaltext vom 04. Juli 2023

PETAs Empfehlungen und Erwartungen an SPD, Grüne und FDP zur Reduktion von Tierversuchen

Im Dezember 2021 nahmen die SPD, die Grünen und die FDP das folgende Vorhaben in ihre Koalitionsvereinbarung auf: „Wir legen eine Reduktionsstrategie zu Tierversuchen vor. Wir verstärken die Forschung zu Alternativen, ihre Umsetzung in die Praxis und etablieren ein ressortübergreifendes Kompetenznetzwerk.“ [1]

Wir von PETA unterstützen das Ansinnen, Tierversuche in der Wissenschaft ab sofort zu reduzieren und schlussendlich gänzlich zu ersetzen. Abgesehen davon, dass derartige Versuche unethisch sind, bieten neue, tierfreie Methoden innovativere Ansätze und oftmals schlichtweg bessere Daten zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Diese Ansätze reflektieren die menschliche Biologie besser – die Ergebnisse aus Tierversuchen lassen sich hingegen aufgrund der biologischen Unterschiede oft nicht auf den Menschen übertragen.

Im Januar 2023 schickten wir von PETA Deutschland Briefe an die zuständigen Ministerien, in denen Erwartungen und Empfehlungen hinsichtlich der Durchsetzung des oben zitierten Vorhabens dargelegt wurden. Die Erläuterungen basieren auf PETAs Research Modernisation Deal (RMD) – unserer Strategie zum stufenweisen Ausstieg aus Tierversuchen.

Das Vorgehen der Ampel-Koalition zur Reduktion von Tierversuchen

Der wichtigste erste Schritt des Koalitionsvertrags besteht in der Einrichtung eines ressortübergreifenden Kompetenznetzwerks. Dieses Netzwerk sollte in Form einer Arbeitsgruppe entstehen, besetzt mit Bundestagsabgeordneten sowie Vertreter:innen der unterschiedlichen Ministerien und Bundesinstitute. Dies muss oberste Priorität haben – denn die Entwicklung einer Reduktionsstrategie für Tierversuche erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Regierungsstellen mit unabhängigen Verantwortungsbereichen und Mandaten.

Der Bereich Tierschutz obliegt in Deutschland dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Der Bereich Forschung hingegen wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verantwortet. Darüber hinaus sind auch das Gesundheitsministerium (BMG), das Ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Ministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und das Ministerium für Verteidigung (BMVg) mit Tierversuchen konfrontiert (z. B. Unbedenklichkeit von Arzneimitteln oder Pflanzenschutzprodukten) und müssen eingebunden werden. Klar geregelte Verantwortlichkeiten und eine enge Zusammenarbeit zwischen diesen Ministerien sind für die Initiierung des Kompetenznetzwerks entscheidend. Darüber hinaus sollten weitere Akteur:innen – z. B. aus der akademischen und industriellen Forschung, Förderorganisationen und Tierschutzorganisationen – ihre Perspektiven einbringen können.

Sobald das ressortübergreifende Kompetenznetzwerk etabliert ist, kann es die Entwicklung der Reduktionsstrategie anstoßen und begleiten. Für die Strategie selbst sind eine umfassendere und zielgerichtetere Finanzierung sowie die systematische und behördliche Unterstützung neuer, tierfreier Methoden nötig. Nur so lässt sich nicht nur die Entwicklung, sondern auch die breite Anwendung tierfreier Ansätze sicherstellen, um Tierversuche konsequent zu ersetzen.

Tierversuche in Deutschland: Zahl der missbrauchten Tiere weiterhin hoch

Allein in Deutschland werden jährlich Millionen Tiere für „wissenschaftliche“ Zwecke missbraucht: 2021 belief sich die Zahl auf 2,5 Millionen Tiere. Dazu kommen weitere 2,55 Millionen fühlende Lebewesen, die gezüchtet und getötet, aber nicht „verwendet“ wurden – insgesamt über 5 Millionen Tiere, die im Namen der „Wissenschaft“ starben. [2]

Grafik. Tierversuchszahlen im Zeitstrahl

Tiere sind fühlende Lebewesen, ihr Missbrauch zu „wissenschaftlichen Zwecken“ ist daher unmoralisch und speziesistisch.

  • Gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche

    Versuche, mit denen sichergestellt werden soll, dass Chemikalien, Medikamente und andere Substanzen unschädlich für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sind, werden immer noch vor allem an Tieren durchgeführt. Diese machen ungefähr 17 % der gesamten Tierversuche in Deutschland aus. [2]

    Für diese Sicherheitsprüfungen gibt es genaue Vorgaben, wie ein Versuch durchgeführt werden muss und welche Erkenntnisse daraus auch wirklich verwendet werden. Entsprechend kann die Entwicklung neuer, tierfreier Methoden strategisch erfolgen und konkrete Ziele anstreben.

    Früher wurden z. B. Kaninchen routinemäßig in solchen Versuchen eingesetzt. Man injizierte ihnen Chemikalien in die Ohren, gab die Substanzen in ihre Augen oder trug sie auf ihre rasierte Haut auf. Zum Glück wurden solche grausamen Tests in vielen Teilen der Welt in den vergangenen Jahren durch tierversuchsfreie Methoden ersetzt.

    Doch bis diese tierversuchsfreien Methoden wirklich akzeptiert waren, hat es lange gedauert. In der Abschaffung des sogenannten „Rabbit Pyrogen Test“ beispielsweise liegen zwischen Entwicklung und vollständiger Implementierung bereits über 30 Jahre. [3] In dem Test injiziert man Kaninchen Medikamente oder Wirkstoffe aus Medizinprodukten und misst stundenlang rektal ihre Körpertemperatur, um festzustellen, ob sie Fieber bekommen. Obwohl die Methode seit 2010 offiziell von den Behörden akzeptiert wird, ist in Europa ein endgültiges Auslaufen des Tests erst bis 2026 anvisiert. Aktuell kommt er nach wie vor in Deutschland zum Einsatz. [4]

    Förderung neuer Methoden von Forschung bis Anwendung

    Die gute Nachricht ist: Die Entwicklung neuer, tierfreier Methoden wird heute immer mehr gefördert. Leider schafft es dennoch die überwiegende Mehrzahl dieser neuen Tests niemals auf die nächste Stufe. Sie werden hauptsächlich in der akademischen Forschung entwickelt und dann nicht weiterverfolgt, weil ihre Überführung in die Anwendung zeitraubend, teuer und nicht strategisch gefördert und priorisiert wird. Den Entwickler:innen mangelt es teils an Ressourcen oder bürokratischem Wissen (oder schlicht Interesse), um die Methoden weiterzutragen. Den Anwender:innen hingegen ist die Investition oftmals noch zu riskant, da zu diesem Zeitpunkt unklar ist, ob Daten, die mit den neuen Methoden gewonnen wurden, überhaupt von den Behörden akzeptieren werden.

    Förderung neuer Methoden von Forschung bis Anwendung

    Die gute Nachricht ist: Die Entwicklung neuer, tierfreier Methoden wird heute immer mehr gefördert. Leider schafft es dennoch die überwiegende Mehrzahl dieser neuen Tests niemals auf die nächste Stufe. Sie werden hauptsächlich in der akademischen Forschung entwickelt und dann nicht weiterverfolgt, weil ihre Überführung in die Anwendung zeitraubend, teuer und nicht strategisch gefördert und priorisiert wird. Den Entwickler:innen mangelt es teils an Ressourcen oder bürokratischem Wissen (oder schlicht Interesse), um die Methoden weiterzutragen. Den Anwender:innen hingegen ist die Investition oftmals noch zu riskant, da zu diesem Zeitpunkt unklar ist, ob Daten, die mit den neuen Methoden gewonnen wurden, überhaupt von den Behörden akzeptieren werden.

  • Gesetzlich nicht vorgeschriebene Tierversuche

    Neben den gesetzlich vorgeschriebenen gibt es demnach freiwillig gewählte Tierversuche, z. B. in der Grundlagen-, translationalen und angewandten Forschung. Zudem werden viele Tiere in der Ausbildung oder zur „Erschaffung“ genmanipulierter Tiere missbraucht. Insgesamt entspricht das 83 % der Gesamtzahl an Tierversuchen, also mehr als 2 Millionen Tiere, die in Experimenten leiden. Dazu kommen jährlich noch etwa 2,5 Millionen Tiere, die gezüchtet und getötet werden, ohne in Versuchen eingesetzt zu werden. [2]

    Der Ansatz, wie man diese enorme Anzahl an Tieren reduziert und ersetzt, muss jedoch ein anderer sein als bei Tierversuchen, die vom Gesetzgeber tatsächlich verlangt werden. Die Ziele sind hier nur durch einen fundamentalen Paradigmenwechsel des wissenschaftlichen Systems zu erreichen. Denn aktuell orientiert sich biomedizinische Forschung unter anderem an zwei Punkten:

    • Wissenschaftliche Publikationen: Der Wert einer Forscherin oder eines Forschers bemisst sich daran, wie stark die jeweilige Arbeit öffentlich und innerhalb der Welt der Wissenschaft gesehen wird. Erfolg hängt maßgeblich von der Anzahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen ab und davon, in welchen wissenschaftlichen Magazinen publiziert wurde.
    • Fördergelder: Akademische Forschungsprojekte (und häufig auch Gehälter der Forschenden) werden aus öffentlichen oder privaten Mitteln finanziert. Die Konkurrenz ist groß und die Förderperioden sind kurz. Forschende müssen Geldgeber:innen beeindrucken und der Schlüssel dazu liegt wiederum in der Veröffentlichung von Studien und experimentellen Daten.

    Priorisierung humanrelevanter Methoden in der biomedizinischen Forschung

    Der Druck, so schnell und hoch angesehen wie möglich zu veröffentlichen, ist groß. Deshalb steht Innovation bei der Auswahl der Methoden oftmals hintan, da für deren Entwicklung zunächst Geld und Zeit investiert werden müssen. So verlässt man sich häufig auf die altbekannten tierbasierten Methoden, die problemlos verfügbar und in der Anwendung vertraut sind. [6]

    Verstärkt wird diese Entscheidung zum Teil durch mangelndes Bewusstsein und fehlende Ausbildung in neuen Methoden sowie durch die Forderung nach tierbasierten Daten seitens Geldgeber:innen, Herausgeber:innen, Vorgesetzten und anderen. [7, 8] In solchen Finanzierungs- und Autorisierungsprozessen von Projekten ist die Anwendung des sogenannten 3R-Prinzips (replace=ersetzen, reduce=reduzieren, refine=verbessern) vorgeschrieben. Doch es steht den Forschenden frei, die „Verbesserung“ gegenüber dem Ersetzen von Tierversuchen zu priorisieren und damit dennoch den rechtlichen Vorgaben nachzukommen. [9] Allerdings wird das erklärte Ziel des zuständigen Ministeriums, Tierversuche langfristig zu ersetzen [10], nur erreicht werden, wenn das Hauptaugenmerk und die Priorität auf „replace“ gelegt wird, während „reduce“ und „refine“ nur als kurzfristige und letzte Optionen betrachtet werden.

    Insgesamt ist das aktuell herrschende Paradigma nicht förderlich für die Entwicklung neuer, auf der menschlichen Biologie basierender Methoden. Doch viele Forschende investieren keine Zeit in neue Ansätze, weil damit mitunter die nächste Veröffentlichung oder gar ihre finanzielle Förderung auf dem Spiel steht.

    Förderung und Anreize für Forscher:innen

    Das Forschungsparadigma muss sich ändern. Zunächst könnten z. B. mehr Gelder zur Verfügung gestellt und längere Projektzeiten ermöglicht werden, wenn Forschende damit neue Modelle basierend auf menschlichen Zellen, Gewebe oder Daten entwickeln und nutzen. Es braucht solche Anreize, damit Forscher:innen nicht einfach auf Tierversuche zurückgreifen, nur weil diese weit verbreitet sind oder „man das schon immer so gemacht hat“.

    Die Generation junger Forscher:innen unterstützt den Übergang zu innovativen, tierfreien Methoden. [11, 12, 13] Das muss gefördert werden. Neue humanrelevante Methoden müssen in der Aus- und Fortbildung Priorität haben. Gleichzeitig braucht es einen verstärkten interdisziplinären Austausch, damit neue Methoden ihren Weg von der Entwicklung in die Anwendung finden. Akademische Forschende sollten zudem über Institute und gemeinsame Arbeitsgruppen mit Expertise in den relevanten tierfreien Technologien besseren Zugang zu wissenschaftlichen Informationen bekommen.

Ausstieg aus Tierversuchen jetzt!

Unterstützen Sie unsere Strategie zur Modernisierung der Forschung und zum Ausstieg aus Tierversuchen. Helfen Sie, die grausamen Tierversuche zu beenden.

  • Quellen

    [1] Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. 2021. Zugriff am 27.06.2023. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800

    [2] Deutsches Zentrum zum Schutz von Versuchstieren. Verwendung von Versuchstieren im Jahr 2021. Zugriff am 19.06.2023.  https://www.bf3r.de/de/verwendung_von_versuchstieren_im_jahr_2021-309160.html]

    [3] Hartung T. Pyrogen testing revisited on occasion of the 25th anniversary of the whole blood monocyte activation test. ALTEX. 2021;38(1):3-19. doi:10.14573/altex.2101051

    [4] European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare. The future of pyrogenicity testing: new approaches discussed at joint EDQM-EPAA event. Zugriff am 19.06.2023. https://www.edqm.eu/en/-/the-future-of-pyrogenicity-testing-new-approaches-discussed-at-joint-edqm-epaa-event

    [5] Harvey LA. We need to value research quality more than quantity. Spinal Cord. 2020;58(10):1047. doi:10.1038/s41393-020-00543-y

    [6] Veening-Griffioen DH, Ferreira GS, Boon WPC, et al. Tradition, not science, is the basis of animal model selection in translational and applied research. ALTEX. 2021;38(1):49-62. doi:10.14573/altex.2003301

    [7] Herrmann K, Pistollato F, Stephens ML. Beyond the 3Rs: Expanding the use of human-relevant replacement methods in biomedical research. ALTEX. 2019;36(3):343-352. doi:10.14573/altex.1907031

    [8] Krebs CE, Camp C, Constantino H, et al. Proceedings of a workshop to address animal methods bias in scientific publishing [published online ahead of print, 2022 Oct 31]. ALTEX. 2022;10.14573/altex.2210211. doi:10.14573/altex.2210211

    [9] Franco NH, Sandøe P, Olsson IAS. Researchers‘ attitudes to the 3Rs-An upturned hierarchy?. PLoS One. 2018;13(8):e0200895. Published 2018 Aug 15. doi:10.1371/journal.pone.0200895

    [10] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Tierschutzforschungspreis des BMEL. Zugriff am 27.06.2023. https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/tierschutzforschungspreis.html

    [11] Andreoli L, Vlasblom R, Drost R, Meijboom FLB, Salvatori D. Challenging Future Generations: A Qualitative Study of Students‘ Attitudes toward the Transition to Animal-Free Innovations in Education and Research. Animals (Basel). 2023;13(3):394. Published 2023 Jan 24. doi:10.3390/ani13030394

    [12] Matos PS, Rodrigues BDS, de Oliveira Fernandes T, Ivan de Ávila R, Valadares MC. The Perceptions of Students and Lecturers on the Use of Animals in Biomedical Science Undergraduate Education in Brazil. Altern Lab Anim. 2022;50(3):221-234. doi:10.1177/02611929221103252

    [13] Metzger MM. Attitudes toward animal research: revisiting. J Undergrad Neurosci Educ. 2014;12(2):A154-A158. Published 2014 Mar 15.

    [14] Deutscher Bundestag (29.09.2023): Drucksache 20/8610, https://dserver.bundestag.de/btd/20/086/2008610.pdf (eingesehen am 22.11.2023)