Pferde sind sensible Herdentiere, die in komplexen sozialen Strukturen leben. Sie haben eine ausgeprägte „Pferdesprache“, die vor allem über subtile Körpersprache und Gesichtsausdrücke funktioniert. Leider erkennen viele Menschen nicht, wenn ein Pferd etwas nicht mag, Stress, Angst oder sogar Schmerzen empfindet. Wie können wir Pferde besser verstehen? In diesem Beitrag erfahren Sie, weshalb oft übersehen wird, dass es Pferden nicht gut geht, wie Pferde Stress und Schmerzen äußern, und wie Sie ein gestresstes Pferd beruhigen können.
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Sind Pferde „Nutztiere“ oder „Haustiere“?
Der Mensch kategorisiert Tiere, je nachdem welchen Zweck sie für ihn erfüllen. Die Tiere werden dabei aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies diskriminiert. Diese Unterdrückungsform nennt man Speziesismus.
Pferde nehmen gegenüber anderen domestizierten Tieren diesbezüglich eine Sonderrolle ein. Ursprünglich wurden sie vor allem als sogenannte Nutztiere gehalten und als Transportmittel, Fleischlieferant, in der Landwirtschaft oder in Kriegen ausgebeutet. Heutzutage werden Pferde eher als „Haustiere“ gesehen. Leider bedeutet das nicht automatisch, dass es ihnen gut geht – denn nach wie vor werden sie oft ausgebeutet, beispielsweise zur Unterhaltung oder als Sportgeräte.
Braves Pferd oder erlernte Hilflosigkeit?
Als hochsoziale Wesen sind Pferde, sofern sie keine negativen Erfahrungen gemacht haben, dem Menschen gegenüber neugierig und offen dafür, mit uns in Austausch zu treten. Da wir dieselben Emotionen teilen und Pferde auch sehr sensibel für unsere Körpersprache und Mimik sind, können wir eine feine Kommunikation aufbauen. Allerdings geht vieles dessen, was Menschen Pferden abverlangen, mit negativen Erfahrungen für die Pferde einher. Hätten Pferde die Wahl, würden sie niemals einen gefährlichen Parcours absolvieren wollen, an Wettrennen teilnehmen, bei denen sie stürzen und sich die Beine brechen können, oder in einer lauten und engen Manege auftreten. Doch wie bringen Menschen die sensiblen Tiere dazu, all diese Dinge zu tun? Schließlich sind Pferde um ein Vielfaches stärker.
Zugrunde liegt häufig die Lernerfahrung des Pferdes, dass es keine Wahl hat – auch bezeichnet als erlernte Hilflosigkeit. Die Anatomie des Pferdes bedingt, dass durch relativ wenig Zug an seinem Kopf die Biegung der Wirbelsäule so beeinflusst wird, dass die Hinterbeine als „Vorwärtsantrieb“ des Tieres „ausgeschaltet“ werden – das Pferd kann nicht mehr weglaufen. Durch diese Konditionierung entwickelt das Pferd eine erlernte Hilflosigkeit gegenüber Zugeinwirkung am Kopf: Ein Mensch kann das Pferd so in allen möglichen Situationen kontrollieren, aus denen es sonst fliehen würde. [1]
Das Pferd als „glücklicher Sportler“? Pferde leiden stumm
Pferde können Schmerzen nicht akustisch äußern, denn haben keinen Schmerzlaut – sie leiden still. Das bedeutet, dass Stress und Schmerzen bei Pferden für den Betrachter oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Dazu gibt es ein treffendes Zitat: „Wenn Pferde schreien könnten, wären die Turnierplätze leer.“ [2]
Um Stress und Schmerzen bei Pferden wahrzunehmen, muss man einen genauen Blick auf ihre Körpersprache und vor allem ihre Mimik werfen. Leider nehmen laut einer Studie von 2019 oft nicht einmal langjährige Pferdehalter:innen oder „Profis“ Stress- und Schmerzanzeichen bei Pferden wahr. Nach den Regeln der internationalen Dachorganisation des Pferdesports FEI sollen Dressurrichter als Hauptziel den „happy athlete“ bewerten, also das Pferd als zufriedener, freudiger Sportler. Wenn jedoch Anzeichen von Stress und Schmerz gar nicht wahrgenommen und negative Gemütszustände sogar als positive fehlinterpretiert werden, ist das Konzept des Pferdes als „happy athlete“ völlig hinfällig. [3]
So ist es nicht verwunderlich, dass bei einer wissenschaftlichen Auswertung des internationalen Reitturniers CHIO Aachen 2018 mehr als ein Drittel der Pferde über 150 Stresssignale zeigten. Oft wurden die Pferde in schädlicher Kopf-Hals-Haltung geritten. [4] Zudem ist es fraglich, ob das bloße Fehlen von Abwehrverhalten oder Stresssignalen schon ein ausreichendes Indiz dafür ist, dass ein Pferd als „glücklich“ bezeichnet werden kann.
Anzeichen für Stress und Schmerzen bei Pferden
Doch wie erkennt man nun, ob ein Pferd Schmerzen oder Angst empfindet, oder sich schlichtweg unwohl oder überfordert fühlt? Vor allem die Mimik gibt hierzu wichtige Informationen – doch es braucht etwas Übung, um dies auch zu erkennen.
Was machen Pferde, wenn Sie Schmerzen haben?
Eine Gruppe europäischer Wissenschaftler:innen hat ein Bewertungssystem entwickelt, das es ermöglicht, den „Schmerzzustand“ eines Pferdes möglichst zuverlässig zu bestimmen. Die sogenannte „Horse Grimace Scale“ umfasst folgende Merkmale des „Schmerzgesichts“ von Pferden: [5]
- steif rückwärtsgerichtete Ohren
- zusammengezogene Augen
- angespannte obere Augen-Region
- angespannte Kaumuskulatur
- angespannte Mundpartie, akzentuiertes Kinn
- angespannte Nüstern und flaches Profil
Wie äußert sich Stress bei Pferden?
In Stresssituationen werden häufig sogenannte Beschwichtigungssignale, auch bekannt als „calming signals“, gezeigt – je besser man auf diese Signale achtet, desto leichter fällt es, den Umgang auch für das Pferd angenehm zu gestalten. [6] Oft werden diese Signale, wie ein Abwenden des Kopfes oder vermehrtes Kauen oder Gähnen, jedoch vom Menschen gar nicht erst wahrgenommen oder fehlinterpretiert. Unwohlsein oder Stress werden zudem beispielsweise durch heftiges Schweifschlagen, Kopfschlagen oder im schlimmsten Fall durch deutliche Abwehrreaktionen signalisiert.
Reagiert ein Pferd so heftig, ist davon auszugehen, dass zuvor Stresssignale übersehen und ignoriert wurden. Es kann jedoch auch sein, dass sich ein Pferd komplett zurückzieht und apathisch alles über sich ergehen lässt, beispielsweise wenn es sich in einer erlernten Hilflosigkeit befindet.
Wie beruhigt man ein Pferd?
Wenn ein Pferd Stress oder Schmerzen äußert oder sogar Abwehrverhalten zeigt, ist es wichtig zu versuchen, das Pferd zu verstehen und die Ursache zu finden. Jedes Verhalten hat einen Grund. Kein Pferd tut nur so, als hätte es Schmerzen, Stress oder Angst – und je mehr Druck man in einer solchen Situation aufbaut oder wenn man das Pferd sogar bestraft, desto schlimmer wird die Situation für das Pferd.
- Oft hilft es schon, ein paar Mal tief durchzuatmen und sich selbst zu beruhigen – Pferde spüren sehr deutlich, wie wir uns fühlen.
- Wenn das Pferd vor etwas Angst hat, braucht es vielleicht erst einmal etwas Abstand und die Möglichkeit, sich alles in Ruhe anzusehen.
- Ist ein Pferd sehr aufgeregt, wird vielleicht gerade zu viel von ihm verlangt – vielleicht kann man es an einem anderen Tag, in kleineren Schritten und mit viel Lob versuchen.
- Bei Verdacht auf Schmerzen sollte ein Pferd tiermedizinisch untersucht werden – viele Pferde leiden aufgrund von Arthrose, Magengeschwüren oder Rückenproblemen unter chronischen Schmerzen.
Leider ist es weit verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert, dass Pferde mit Druck und Dominanz trainiert werden und nicht ausreichend auf ihre Bedürfnisse geachtet wird.
Glücklicherweise geht es jedoch auch anders: indem man Pferden auf Augenhöhe begegnet und mit Einfühlungsvermögen und Geduld ein positives Miteinander gestaltet.
Bei vielen „Pferdemenschen“ setzt bereits ein Umdenken ein, doch es gibt noch viel Handlungsbedarf. Pferde sind nicht dazu da, uns zu unterhalten. Wie alle anderen Tiere haben sie das Recht auf ein unversehrtes Leben – und es ist unsere Pflicht sicherzustellen, dass sie in unserer Obhut ein art- und tiergerechtes Leben führen können.
Was Sie tun können
- Besuchen Sie keine Pferdesportveranstaltungen. Wenden Sie sich an uns, wenn Sie Zeuge von Tierquälerei an Pferden werden.
- Achten Sie auf die Bedürfnisse Ihrer Schützlinge und gehen Sie so mit Ihnen um, dass Sie jederzeit mit einem guten Gefühl die Rollen tauschen würden. Zögern Sie nicht, sich Unterstützung von professionellen Verhaltensexpert:innen zu holen, die mit positiver Verstärkung und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten.
- Bitte informieren Sie sich über die artgerechte Haltung von Pferden und versuchen Sie, Ihren vierbeinigen Begleiter in eine Herde zu integrieren. Klären Sie auch Ihr Umfeld über die Bedürfnisse von Pferden und einen tiergerechten Umgang auf.
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Quellen
[1] Dr. Brigitte Kaluza (2020): Reiten nur mit Sitzhilfe – die wissenschaftliche Grundlage einer fast vergessenen Kunst. Cadmos Verlag, München.
[2] Pferdedenker Ausbildungszentrum, Facebook-Posting vom 16. Juli 2019. https://www.facebook.com/pferdedenker/photos/a.1700824346890575/2059754664330873/ (eingesehen am 12.10.2022)
[3] Bell C., Rogers S., Taylor J., Busby D (2019): Improving the Recognition of Equine Affective States. Animals, vol. 9, no. 12. https://doi.org/10.3390/ani9121124
[4] Tagesspiegel: Zum CHIO in Aachen: Das Leiden der Pferde. Veröffentlicht am 16.07.2019. https://www.tagesspiegel.de/sport/das-leiden-der-pferde-4081063.html (eingesehen am 12.10.2022)
[5] Dalla Costa E., Minero M., Lebelt D., Stucke D., Canali E., et al. (2014): Development of the Horse Grimace Scale (HGS) as a Pain Assessment Tool in Horses Undergoing Routine Castration. PLoS ONE, vol. 9, no. 3. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0092281
[6] RPLUS: Beschwichtigungssignale beim Pferd. Veröffentlicht am 26.05.2021. https://rplus.click/beschwichtigungssignale-beim-pferd (eingesehen am 12.10.2022)